Freigabe oder Einschränkung? Dr. Franjo Grotenhermen über die Cannabis-Debatte (Teil 2)

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Interview Franjo Grotenhermen
Das Redaktionsteam des DoktorABC Wellness Hubs

Wir schreiben regelmäßig über medizinisches Cannabis, seine Anwendungen und die rechtliche Lage, um Ihnen fundierte Tipps, Tools und Ratschläge für den Alltag zu geben.

Während der medizinische Nutzen von Cannabis immer stärker in den Fokus rückt, gibt es weiterhin bürokratische Hürden, gesellschaftliche Skepsis und politische Debatten. Wie hat sich die Akzeptanz in der Bevölkerung entwickelt? Welche internationalen Modelle könnten als Vorbild dienen? Und was müsste sich in Deutschland noch verbessern? Im zweiten Teil unseres Gesprächs mit Dr. Franjo Grotenhermen werfen wir einen Blick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen und mögliche Zukunftsperspektiven.
Was Sie in diesem Artikel erfahren:
  • Wie sich die gesellschaftliche Akzeptanz von Cannabis entwickelt hat
  • Welche bürokratischen Hürden Patienten den Zugang erschweren
  • Welche Risiken ein Cannabisverbot mit sich bringen würde
  • Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann
  • Wie ein sinnvoller Rechtsrahmen aussehen könnte
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Dr. Franjo Grotenhermen wurde für dieses Interview als Experte angefragt. Seine Aussagen basieren auf seiner fachlichen Expertise und langjährigen Erfahrung im Bereich der medizinischen Nutzung von Cannabis.

Es besteht keine weitergehende geschäftliche Verbindung zwischen Dr. Grotenhermen und DoktorABC. Die hier geäußerten Meinungen sind seine eigenen und spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen von DoktorABC oder des Wellness-Magazins wider.

Frage:
Hat sich denn durch die zunehmende medizinische Nutzung auch die gesellschaftliche Akzeptanz verändert? Oder gibt es weiterhin Vorbehalte – vielleicht sogar in der Ärzteschaft oder bei Behörden?

Akzeptanz, Kritik und politische Debatten

Dr. Grotenhermen:
Die Akzeptanz von medizinischem Cannabis war in der Bevölkerung eigentlich schon seit mehr als 20 Jahren ziemlich hoch. Im Jahr 2006 hat die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin bereits eine Umfrage beim Institut Allensbach in Auftrag gegeben. Schon damals waren rund drei Viertel der Menschen in Deutschland der Meinung, dass schwer kranke Patienten Zugang zu Cannabis als Medizin haben sollten. Diese Zahlen sind über lange Zeit ziemlich konstant geblieben.

Inzwischen hat sich die Haltung aber weiter verändert – nicht nur in Bezug auf die medizinische Nutzung. Auch der nicht-medizinische Konsum von Erwachsenen, die Cannabis aus Genussgründen verwenden, wird mittlerweile mehrheitlich toleriert. Das zeigt, dass sich die gesellschaftliche Einstellung insgesamt gelockert hat.

Frage:
Aber trotz der Fortschritte hören wir aber immer wieder von Patienten, dass es schwer ist, Cannabis verschrieben zu bekommen. Welche bürokratischen Hürden gibt es noch – und was müsste sich dringend ändern?

Dr. Grotenhermen:
Zunächst muss man sagen, dass uns viele Patienten aus anderen Ländern um unsere Gesetzgebung beneiden. In Deutschland können Ärzte sowohl Cannabisextrakte als auch Cannabisblüten für jede Indikation verschreiben. In vielen anderen Ländern mit einer medizinischen Cannabisregelung ist das viel stärker eingeschränkt. Dort dürfen Cannabisprodukte oft nur bei bestimmten Erkrankungen eingesetzt werden oder sind so teuer, dass sich viele Patienten die Therapie gar nicht leisten können. In vielen Ländern dürfen nur ganz wenige Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis verschrieben werden, insbesondere der Cannabisextrakt Sativex.

Trotzdem gibt es natürlich auch in Deutschland noch Verbesserungspotenzial. Ich sehe vor allem zwei wichtige Punkte:

Erstens sollten allein die Ärzte entscheiden dürfen, ob ein Patient mit Cannabis behandelt wird oder nicht – ohne dass Krankenkassen hier zusätzliche Hürden aufbauen. Viele schwer kranke Patienten können nicht arbeiten und haben dadurch kaum eine Möglichkeit, die hohen Kosten für die Therapie selbst zu tragen. Dadurch bleiben sie entweder unbehandelt oder unterversorgt.

Zweitens brauchen wir mehr klinische Forschung zur Wirksamkeit von Cannabis bei verschiedenen Erkrankungen. Je mehr wissenschaftliche Erkenntnisse wir haben, desto größer wird die Akzeptanz in der Ärzteschaft und bei den Krankenkassen.

Dr. Franjo Grotenhermen
Dr. Franjo Grotenhermen
Leiter des therapeutischen Zentrums für Cannabismedizin in Steinheim (NRW)
Dr. Grotenhermen ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) und Vorsitzender der Internationalen Allianz für Cannabinoidmedikamente (IACM). Grotenhermen ist Mitarbeiter verschiedener Institute und Projekte im medizinischen Cannabisbereich und hat mehrere Hundert wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Artikel, Bücher sowie Gutachten und Stellungnahmen im Auftrag nationaler und internationaler Organisationen, darunter die Weltgesundheitsorganisation, erstellt.Er erhielt folgende Auszeichnungen:– Hanf-Preis 1999 der Cannabusiness – IACM 2011 Special Award – ICBC 2018 Lifetime Achievement Award – Robert-Newman-Gedächtnispreis 2018 von Akzept e.V. – Ehrenpreis GFS-Award 2021 von Gemeinnützige Forschungsvereinigung Saluplanta e.V.Im Jahr 2022 erschien ein Dokumentarfilm über sein Leben unter dem Titel „The Doctor: Franjo Grotenhermen“.

Frage:
Und falls die Cannabis-Gesetze tatsächlich verschärft oder zurückgenommen würden, welche langfristigen Folgen hätte das für die medizinische Versorgung in Deutschland?

Dr. Grotenhermen:
Ehrlich gesagt sehe ich aktuell niemanden, der das wirklich will. Die Auswirkungen wären für die betroffenen Patienten einfach zu gravierend.

Viele Menschen, die auf medizinisches Cannabis angewiesen sind, könnten dann nicht mehr auf eine wirksame Therapie zugreifen. Das würde bedeuten, dass sie möglicherweise stärkere Schmerzen oder andere unbehandelte Symptome hätten. Einige könnten dadurch nicht mehr arbeiten und wären auch im Alltag stark eingeschränkt.

Letztlich wäre das ein großer Rückschritt für die medizinische Versorgung in Deutschland – und ich glaube nicht, dass das politisch gewollt ist.

Frage:
Deutschland ist also in vielen Bereichen auf einem guten Weg, aber gibt es Länder, die es vielleicht noch besser machen? Welche internationalen Modelle könnten als Vorbild dienen?

Deutschland im internationalen Vergleich – Was machen andere Länder besser?

Dr. Grotenhermen:
Grundsätzlich ist das deutsche Modell schon ziemlich gut. Mein Vorstandskollege in der  Internationalen Allianz für Cannabinoidmedikamente (IACM) aus Israel würde sich sogar wünschen, dass es dort ein ähnliches System wie in Deutschland gibt.

In Kanada gibt es durch die vollständige Legalisierung von Cannabis zusätzliche Möglichkeiten zur Selbstmedikation. In Deutschland ist das nur eingeschränkt möglich. Das kanadische Modell gibt Patienten mehr Freiheit. Dort ist die medizinische Verwendung und der Freizeitkonsum klar getrennt. Allerdings gibt es auch dort viele Patienten, die sich selbst behandeln, auch wenn eine ärztliche Begleitung wünschenswert wäre.

Letztendlich hat jedes Land seine eigenen Ansätze – aber Deutschland steht im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht da.

Frage:
Damit kommen wir zur größeren gesellschaftlichen Frage: Wie könnte ein rechtlicher Rahmen aussehen, der nicht nur die medizinischen Aspekte berücksichtigt, sondern auch einen verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis insgesamt sicherstellt?

Dr. Grotenhermen:
Idealerweise gäbe es Verkaufsstellen für den nicht-medizinischen Konsum von Cannabis – so wie es ursprünglich im Gesetz der Ampelkoalition vorgesehen war. Das hätte den Vorteil, dass Konsumenten nicht auf den Schwarzmarkt angewiesen sind und kontrollierte, sichere Produkte erhalten.

Jetzt, nach dem Regierungswechsel, ist es umso wichtiger, dass die geplanten Modellprojekte trotzdem umgesetzt werden. Diese Projekte sind entscheidend, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen und die Debatte auf eine faktenbasierte Grundlage zu stellen – statt sie von ideologischen Grabenkämpfen bestimmen zu lassen. Nur so können wir langfristig sinnvolle und praxistaugliche Regelungen für den Umgang mit Cannabis entwickeln.

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Frage:
Sie setzen sich ja seit Jahrzehnten mit großer Leidenschaft für das Thema ein – sogar mit Hungerstreiks und politischen Aktionen. Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich so intensiv für die Rechte von Patienten einzusetzen?

Dr. Grotenhermen:
Das hat mehrere Gründe. 1990 wurde klar, dass ich aufgrund meiner schweren Erkrankung meinen ursprünglichen Plan, als Arzt in eigener Praxis zu arbeiten, nicht umsetzen konnte. Also habe ich mich nach neuen Wegen umgesehen.

1993 kam ich durch einen Freund erstmals mit dem Thema Cannabis in Kontakt. Damals ging es um eine gutachterliche Stellungnahme zum Missbrauchspotenzial von Faserhanf. Ein halbes Jahr später hatte ich dann die Gelegenheit, für eine Buchpublikation eine Übersicht über den damaligen wissenschaftlichen Stand zum therapeutischen Potenzial von Cannabinoiden zu schreiben – und ab da hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.

Was mich besonders motiviert hat, war die Kombination aus drei Dingen: Erstens konnte ich weiter ärztlich tätig sein, indem ich Patienten beriet und später (im Jahr 2012) dann doch eine Praxis eröffnet habe. Zweitens haben mich die wissenschaftlichen Entwicklungen mit wieder neuen aufsehenerregenden Erkenntnissen interessiert. Und drittens war ich schon seit meiner Studienzeit politisch aktiv. Ich habe schnell erkannt, dass es beim Thema „Cannabis als Medizin“ großen politischen Handlungsbedarf gab.

Letztlich war es die Mischung aus diesen drei Dingen – die Arbeit mit Patienten, meine wissenschaftliche Neugier und mein politisches Interesse – die mich motiviert hat. Ich habe einfach gesehen, wie dringend etwas passieren musste, und wollte meinen Teil dazu beitragen.

Frage:
Es gibt sicherlich immer noch viele Menschen, die Cannabis – sei es medizinisch oder als Genussmittel – kritisch sehen. Was würden Sie diesen Skeptikern sagen?

Dr. Grotenhermen:
Ich würde ihnen raten, sich die wissenschaftlichen Fakten anzuschauen. Verschiedene Studien – unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation – zeigen, dass die rechtliche Einstufung von Cannabis kaum Einfluss darauf hat, wie viele Menschen es tatsächlich konsumieren. Die Kriminalisierung von Konsumenten erreicht also nicht das, was sie soll.

Im Gegenteil: Ein Verbot kann die Risiken sogar noch erhöhen. Wenn Cannabis illegal ist, haben Konsumenten keine Kontrolle über die Qualität der Produkte. Es besteht die Gefahr, dass sie mit gefährlichen Substanzen wie synthetischen Cannabinoiden verunreinigtes Material kaufen. Das macht den Konsum deutlich unsicherer.

Deshalb ist eine kontrollierte, legale Abgabe nicht nur eine Frage bürgerlicher Grundrechte, in der die Freiheit möglichst wenig eingeschränkt werden sollte, sondern auch der Gesundheit und Sicherheit.

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Frage:
Zum Abschluss noch eine ganz grundsätzliche Frage: Was würden Sie der Politik und der Gesellschaft mit auf den Weg geben, wenn es um den verantwortungsvollen Umgang mit medizinischem Cannabis geht?

Wie geht es weiter? Zukunftsperspektiven für Patienten und Politik

Dr. Grotenhermen:
Cannabis kann die Symptome vieler Erkrankungen lindern – und das hat enorme Vorteile, nicht nur für die betroffenen Patienten, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Wenn Menschen durch eine Cannabistherapie weniger Schmerzen haben, besser schlafen oder wieder arbeitsfähig werden, dann verbessert das nicht nur ihre Lebensqualität, sondern auch ihre Möglichkeit, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass sowohl die Patienten als auch die Gesellschaft insgesamt von den positiven Effekten dieser Therapie profitieren. Natürlich gibt es Risiken – wie bei jedem Medikament – aber diese sollten nicht über die großen Vorteile hinweg täuschen.

Vor allem sollte der Zugang zu medizinischem Cannabis nicht vom Geldbeutel abhängen. Jeder Patient, der es braucht, sollte es auch bekommen können – unabhängig von seinen finanziellen Möglichkeiten.

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Dieser Artikel enthält keine medizinischen Ratschläge und ersetzt auch nicht eine ärztliche Beratung. Er dient ausschließlich informativen Zwecken. Wenden Sie sich bei allen Fragen der Gesundheit oder im Krankheitsfall unbedingt an einen Arzt oder Apotheker und lesen Sie auch die Beipackzettel Ihrer Medikamente vor Einnahme sorgfältig durch.

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